Die PräsenzpflicDie Präsenzpflicht feiert in vielen Unternehmen ein Comeback – als Reaktion auf sinkende Produktivität, bröckelnde Unternehmenskultur oder vermeintlich mangelndes Engagement. Doch statt Vertrauen neu zu denken, wird oft Kontrolle reaktiviert. Das ist ein riskanter Rückschritt.
Die Argumente von Unternehmen, welche ihre Mitarbeitenden vom Homeoffice zurück an den Arbeitsplatz rufen, sind vielfältig: effektivere Zusammenarbeit, stärkeres Gemeinschaftsgefühl, Erhalt der psychischen Gesundheit durch soziale Kontakte.
Hinzu kommt, dass Remote Working zum Teil bewusst oder unbewusst missverstanden wurde. Eine Führungskraft sagte mir kürzlich: «Ich musste bei einigen Mitarbeitenden etwas klarstellen: Homeoffice heißt zu Hause arbeiten, nicht den Garten pflegen, die Kinder versorgen und seinen Hobbys nachgehen.“ Solche Fälle gibt es. Aber es ist ebenso eine Tatsache, dass viele Familien durch Homeoffice ihren Alltag besser organisieren können. Viele Mitarbeitende legen Fokuszeiten bewusst außerhalb klassischer Arbeitsfenster. Die Selbstbestimmung hebt die Motivation – und die Produktivität gleich mit.
Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben
Laut einer aktuellen Ifo-Umfrage bleibt der Homeoffice-Anteil zum Beispiel in Deutschland seit 2022 konstant bei rund 25 %. In der Schweiz liegt der Anteil mit 37 Prozent sogar noch höher, in Österreich liegt er bei 25 %. Und eine exklusive WiWo/Civey-Erhebung zeigt: Nur 16 % der deutschen Arbeitnehmenden wären bereit, Gehaltseinbußen in Kauf zu nehmen, um weiterhin im Homeoffice zu arbeiten – in den USA sind es 40 %.
Die Zahlen zeigen: Remote Work ist kein pandemisches Relikt – sie ist Teil des neuen Normalzustands. Umso dringlicher stellt sich die Frage: Wie gestalten wir die hybride Arbeitswelt so, dass sie sowohl produktiv als auch menschlich funktioniert?
Trotzdem holen viele Unternehmungen ihre Leute zurück – aber nicht ins Team, sondern ins Gebäude. Unternehmen sollten sich jedoch darüber Gedanken machen, wie sie sicherstellen können, dass Mitarbeitende gerne an ihren Arbeitsplatz kommen. Denn wenn Führung und Zusammenarbeit nicht neu gedacht werden, ersetzt Kontrolle Vertrauen und Sichtbarkeit wird zum Maßstab für Leistung.
Was Teams wirklich stark macht
Bei der Frage, wie Zusammenarbeit wirklich gelingt, geht es nicht nur um attraktive und funktionale Arbeitswelten oder eine verlässliche Infrastruktur. Der Fokus sollte auf einer Arbeitsatmosphäre liegen, in welcher sich Mitarbeitende sicher, gehört und mit dem Team verbunden fühlen und effektiv zusammenarbeiten.
Führungskräfte spielen dabei eine zentrale Rolle. Ihre Aufgabe ist es, psychologische Sicherheit zu schaffen und diese durch eine gemeinsam erarbeitete Teamcharta, ein kollektives Ziel- und Werteverständnis sowie regelmäßige Reflexions- und Feedbackrunden sicherzustellen.
Präsenz mit Sinn – diese fünf Fragen sind entscheidend
Mitarbeitende sollten beim Betreten des Arbeitsplatzes intuitiv wissen:
- Warum bin ich heute hier?
- Was passiert hier, das virtuell nicht geht?
- Was kann ich heute beitragen – und was nehme ich mit?
- Mit wem tausche ich mich heute aus – und wozu?
- Wie stärkt dieser Tag mein Team, meine Rolle und unser gemeinsames Ziel?
Fazit: Vertrauen ist die neue Infrastruktur
Statt zu fragen, wie wir alle zurückholen, sollten wir überlegen, wie wir Bedingungen schaffen, unter denen Menschen gerne vor Ort arbeiten. Nicht Kontrolle, sondern Vertrauen ist die Währung der Zukunft. Wenn Unternehmen diese Haltung leben, wird Homeoffice nicht zur Ausweichlösung – sondern zur gezielten Ergänzung in einem flexiblen, sinnstiftenden Arbeitsmodell.
Über den Autor:
Sacha Johann ist Experte für Arbeitskultur und berufliche Sinnhaftigkeit. Als Sparringspartner für Führungskräfte, Speaker und Autor von „Arbeit mit Sinn!“ begleitet er Organisationen auf dem Weg zu einem sinnerfüllten Arbeitsklima. Weitere Infos: sachajohann.ch und LinkedIn-Profil
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